Der Weg vom technikbegeisterten Flieger zum Theologen
Veröffentlicht am 30.04.2005
in Ludwigsburger Kreiszeitung
Ludwigsburgs neuer Ehrenbürger Dr. Albert Sting im Gespräch - 'Ich freue mich natürlich sehr, das will ich nicht verhehlen'
Dr. Albert Sting. Bild: Alfred Drossel
Dr. Albert Sting wird am kommenden Mittwoch bei der Stadtgründungsfeier zum Ehrenbürger ernannt. Die Ludwigsburger Kreiszeitung hat sich mit ihm über diese Auszeichnung, sein Leben, seine Pläne unterhalten.
Herr Sting, zunächst einmal unseren herzlichen Glückwunsch zur Ernennung zum Ehrenbürger. Wie haben Sie die Nachricht von der Auszeichnung aufgenommen?
Ich freue mich natürlich sehr, das will ich gar nicht verhehlen. Eine Ehrung aus der Stadt Ludwigsburg, die meine Vaterstadt ist, bedeutet mir besonders viel, fast mehr als eine Auszeichnung auf hoher Ebene. Hier kennt mich jeder und wenn die dann meinen, es wäre eine solche Ehrung denkbar, dann ist das wohl auch ehrlich gemeint.
Ein Ehrenbürger genießt besonderes Ansehen, hat besonderes Gewicht . . .
. . . und da wird auch schon kräftig darüber spekuliert. 'Da musch koi Steuer mehr zahle', sagt mir einer, und ich frage zurück, welche Steuer kann der OB mir wohl erlassen? Andere fragen sich, ob ich jetzt umsonst Bus fahren darf.
Gerade ohne Freifahrschein genießt ein Ehrenbürger besonderes Gewicht. Gibt es etwas, wofür Sie dieses Gewicht künftig in die Waagschale werfen wollen?
Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht, schließe aber nicht aus, dass sich etwas ergibt. Es wird sich im Moment nichts Wesentliches ändern, ich befasse mich weiter mit dem dritten Band meiner Geschichte der Stadt Ludwigsburg. Wenn der im Herbst erscheint, kann ich zu allen Ludwigsburger Epochen etwas Belegtes sagen.
Am 7. Mai werden es 81 Jahre, dass Sie in Ludwigsburg geboren wurden. Der dritte Band reicht bis ins Jahr 2004. Wenn Sie die Entwicklung der Stadt in dieser Zeit Revue passieren lassen, zu welchem Urteil kommen Sie dann?
Ich kann zufrieden sein mit der Entwicklung, wenn ich vor allem als Kriterium nehme, dass es eine wahnsinnige Leistung an echter Demokratisierung nach dem Dritten Reich gegeben hat. Das gibt dann eben auch die Spannungen und unterschiedlichen Meinungen, die ich in meinem Buch nachzeichne. Aber das Element der Freiheit fordert auch das Element der Toleranz. Da kann noch mehr geschehen, aber es ist in der Stadt wirklich viel erreicht worden, und da habe ich an dem einen oder anderen Eck auch ein bisschen helfen dürfen.
An was erinnern Sie sich da besonders gern?
Spontan an zwei Dinge. Einmal an die vermittelnden Gesprächskreise bei der Einrichtung des türkisch-islamischen Kulturzentrums an der Heilbronner Straße, wo eine zunächst äußerst angespannte Situation sich in ein friedliches und freundliches Nebeneinander entwickelt hat. Und dann war ich zehn Jahre lang Moderator beim runden Tisch für Asylfragen. Aber auch an meiner beruflichen Wirkungsstätte, der Karlshöhe, habe ich mich für Benachteiligte eingesetzt, etwa mit der Werkstatt für Behinderte.
Sie waren in Ihrer Jugend sehr technikbegeistert, gingen zur Militärfliegerei. Wie kam der Wandel zum sozial engagierten Theologen und Pfarrer?
Das kann ich genau beschreiben, weil ich das präzise erlebt habe. Es war in der russischen Kriegsgefangenschaft, da wurde einem bei der Aussicht auf zwanzig Jahre bei trockenem Kanten Brot klar, dass man wohl keine Flieger mehr brauchen würde. Ich interessierte mich auch für die Medizin und ein ungarischer Arzt in unserem Lazarett hat mich in der Pathologie eingearbeitet, ich habe dann 272 Leichen seziert, ich weiß das noch genau, weil ich es aufgeschrieben habe.
Wann war das?
Das war 1947 und 1948 in der Gefangenschaft bei Stalingrad. Da dachte ich, gut, wirst du Arzt.
Als ich dann aber gesehen habe, was die Ärzte mit ihren mehr als beschränkten Mitteln bei uns in der Gefangenschaft machen konnten, da war man schnell am Ende.
Als dann einige meiner besonders guten Freunde gestorben sind, einer hat im wahrsten Sinne des Worts den Löffel aus der Hand gelegt, ist am Tisch beim Essen tot zusammengebrochen, da wurde mir klar, dass man noch mehr braucht. Auch wegen der Stimmung unter den Kameraden. 'Man kommt nicht mehr heim, wo bleibt Gott?', das waren Themen.
Das hat mein Interesse geweckt. Wenn du kein Auto und keine Flugzeuge mehr hast, wenn du keine Medikamente und Instrumente hast, dann kann die Theologie helfen. Das Wort wird dir niemand nehmen.
Und das blieb dann der Weg auch nach der Rückkehr aus der Gefangenschaft.
Ja, auch weil ich entdeckt habe, dass die Lehrer am Schiller-Gymnasium nicht Recht hatten, die mich immer für sprachlich völlig unbegabt hingestellt hatten. Großes Latinum, Hebraicum und Graecum braucht man für das Theologiestudium - und siehe da, ich konnte alle drei Examina in einem Jahr ablegen.
So wie Sie das sagen, können Sie sich darüber noch heute spitzbübisch freuen.
Ja, auch weil ich überhaupt nichts davon halte, wenn Erwachsene heute noch die jungen Leute mit einem 'Früher war alles besser' und 'Aus euch wird nichts werden' abkanzeln. Denn das stimmt einfach nicht. Wir saßen damals in den Anlagen nie auf den Bänken, sondern immer auf der Lehne mit den Schuhen auf der Sitzfläche.
Wenn der dritte Band Ihrer Ludwigsburg-Geschichte fertig ist, werden Sie sich dann so richtig zurücklehnen können?
Dann habe ich frei, dann werde ich reisen, das habe ich meinen Kindern gesagt, und die sehen das durchaus positiv. Ich werde auf jeden Fall kräftig aufräumen. Die reine Muße ist mir aber nicht gegeben, als alter Mann wird mir die Zeit kostbarer. Ideen dafür, etwas zu schreiben, gibt es schon, vielleicht eine Ludwigsburger Geschichte für Kinder und junge Menschen. Das hängt auch von meiner Kraft ab. Eine Reise nach Ägypten ist schon gebucht. Auch Griechenland und Athen möchte ich gerne mal sehen, in Paris war ich noch nie, Skandinavien reizt mich. Als sie noch lebte, habe ich auch mit meiner Frau Reisen unternommen, zum Beispiel nach Russland, Stalingrad, wo wir etwas Unglaubliches und Unvergessliches erlebten. Als Gefangener hatte ich dort auch Häuser wieder aufgebaut. Bei der Reise trafen wir eine ältere Frau, erzählte ihr das. Und sie sagte 'Ich danke Ihnen dafür'.
Gespräch: Peter Maier-Stein
Zur Person Dr. Albert Sting
- Geboren: 7. Mai 1924 am Ludwigsburger Marktplatz
- Jugend: 1932 Umzug mit Familie nach Besigheim, ab 1940 Schiller-Gymnasium Ludwigsburg
- Ausbildung: Studium Theologie und Psychologie
- Laufbahn: Promotion zum Doktor der Philosophie in Tübingen; u. a. Pfarrer in Waiblingen und ab 1966 an der Ludwigsburger Stadtkirche; 1971 bis 1989 Karlshöhe, zehn Jahre als Direktor.
- Familie: Witwer, vier Kinder.
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